Am Abend vor dem Besuch der KZ-Gedenkstätte hatte ich ein eher mulmiges Gefühl. Klar hat man schon alles Mögliche über die zwei Konzentrationslager gelernt, aber die Vorstellung so einen grausamen Ort in echt zu erleben, ist nochmal ganz anders.
Morgens ging es dann um 6 Uhr los. Schon auf dem Parkplatz war es extrem kalt und windig. Es waren etwa -4 Grad.
Begonnen hat unsere Führung durch einen Tunnel, in dem repräsentative Namen von etwa 1500 Opfern vorgelesen wurden. Wir sind stumm durch den Tunnel gelaufen, die Stille sollte sich durch den Rest unseres Besuchs ziehen. Man traut sich nicht, laut zu sprechen und normale Unterhaltungen möchte man an so einem Ort ohnehin nicht führen.
Das „Arbeit macht frei“-Tor erkennt man natürlich sofort. Der Zynismus dieses Bogens war erschlagend, während die Dame, die uns rumgeführt hat, von den ersten zu Tode verurteilten erzählte. Die Freiheit lag wohl hier nur im Tod.
Die Baracken aus Backstein waren alle durchnummeriert. In manche konnten wir hineingehen. Am schlimmsten anzusehen waren für mich, die ganzen Habseligkeiten, die die Opfer voller Hoffnung mitbringen durften. Töpfe, Brillen, Schuhe und Kleidung. In einer Baracke waren riesige Haufen von diesen Dingen, die alle mal jemandem gehört haben. Sie wurden ihnen von den Nazis direkt abgenommen, teilweise weiterverkauft oder verbrannt. Der Berg an Kinderschuhen hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt. Auch lagen in den Vitrinen kleine Bodys oder Latzhosen von Kleinkindern und Babies, was mich fast zum Weinen gebracht hat. Das Gefühl fast zu weinen, hatte ich oft, habe mich aber jedes Mal vor mir selbst geschämt. Wer bin ich, an so einem Ort zu weinen? Nicht einmal annähernd habe ich je so ein Leid ertragen müssen.
Die „Todeswand“ hat in dem Lager die meiste Wut in mir ausgelöst. Unsere Gruppenleiterin hat uns von einem hohen Offizier erzählt, der bei fast jedem einzelnem Mord an der Todeswand dabei war. Etwa 6000 wurden in dem Hof getötet. Er selbst hat jedoch niemals geschossen, um sich die Hände nicht schmutzig zu machen.
Die Wege in Ausschwitz waren unbequem, aber ich habe mich gar nicht getraut, auch nur daran zu denken, dass ich mit meinen Festen Stiefeln lieber über Asphalt laufen würde. Gefangene wurden nicht selten barfuß über die Straßen gejagt. Oft in ihren eigenen Tod.
Im Keller einer Baracke sind wir an den kleinen Zellen vorbeigegangen; in manche passte gerade einmal eine Person rein – stehend. Tagelang wurden gefangene dort festgehalten und durch das dauerhafte Stehen gefoltert. Ich war froh, aus dem Keller wieder rauszukommen. Ich bin selbst vom Anblick schon klaustrophobisch geworden.
Wir sind auch in eine Gaskammer gegangen. Die Gaskammer an sich hat man kaum erkannt. Sie war in einem flachen Erdhügel und nur eine kleine Tür am Fuße des Hügels war der Eingang. Aufgrund der Monstrosität der Verbrechen stellte man sich diese Kammern immer viel größer vor. Auch dort drin wollte ich nicht lange bleiben. Ein mulmiges Gefühl von Enge bekommt man dort. Das Krematorium ist direkt im Nebenraum und es sah fast so aus, als wäre alles erst gestern stillgelegt worden, so gut war alles noch erhalten; was es noch viel unheimlicher gemacht hat.
Am gleichen Tag sind wir dann mit dem Bus nach Birkenau gefahren. Auch wenn Ausschwitz besser erhalten und viel bebauter ist, war Birkenau auf den ersten Blick noch viel gruseliger. Ein riesiges Feld auf dem überall Drahtzäune stehen, direkt im Zentrum verliefen Schienen und das ikonische „Todestor“ kann man sofort erkennen.
Hier waren wir in zwei Baracken, den Waschräumen und Schlafräumen der Frauen. Räume konnte man es nicht wirklich nennen. Zum Waschen gab es zwei lange Rillen auf Hüfthöhe. Die Frauen hatten teilweise nur so lange Zeit bis die Lagerälteste bis 10 gezählt hat, um sich hier zu waschen. Die „Betten“ sahen aus wie Tiefe Regalwände. Auf einem „Bett“ haben bis zu sieben Frauen geschlafen. Ohne übereinander zu liegen, war das nicht möglich.
Da Birkenau so weitläufig war, war es nochmal windiger und kälter. Die Gruppenleiterin hat uns erzählt, dass es damals im Winter bis zu -20 Grad werden konnte, was unvorstellbar ist. Ich stand da mit Thermokleidung, Winterjacke, Schal und Mütze und habe mich wieder geschämt, auch nur einmal daran gedacht zu haben, was für ein kalter Tag es doch für so eine Führung sei. In Hemd und Holzschuhen konnte man hier gar nicht überleben.
Ein solches Leid darf nie vergessen werden.
Emilia Palomba, Jgst. 12, Februar 2025
Man hört immer wieder Sprüche wie „Man sollte langsam mal Gras über die Sache wachsen lassen“ oder „Ich bin ja nicht schuld am Holocaust“. Letzteres stimmt definitiv. Trotzdem haben wir die Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen, dass wir aus der Vergangenheit lernen und dass das „Nie wieder“ nicht nur eine Floskel unserer (Ur-)Großeltern ist, sondern der Wirklichkeit entspricht.
Weil uns die Verantwortung am Herzen liegt, haben wir – Teile der Q2 – an der Krakau-Fahrt teilgenommen und dabei das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das Galicia Jewish Museum sowie Schindlers Fabrik besichtigt und führten ein Zeitzeugengespräch mit einer jüdischen Frau, die dank ihrer Pflegeeltern größtenteils physischem Leid - als Kleinkind - aus dem Weg gehen konnte – im Gegensatz zum Großteil ihrer Familie. Ihre Mutter gab sie vor der Deportation an ein Heim ab und trug stattdessen eine Puppe bei sich, um die Personenzahl auf der Deportationsliste zu erfüllen. So rettete sie ihrer Tochter das Leben. Wiederholt wurde uns allen die Gewalt, der Schrecken und die Ausmaße der NS-Diktatur bewusst.
Warum wir auch nicht „Gras über das Sache wachsen lassen dürfen“, ist die Tatsache, dass Gewalt und politischer Extremismus beider Seiten allgegenwärtig sind. Wir müssen mitansehen, wie bei unseren europäischen Brüdern und Schwestern in Italien ein Senatschef akzeptiert wird, der - wissentlich - Mussolini-Statuen im eigenen Wohnzimmer ausstellt. Wir müssen in den Nachrichten erfahren, wie Foltergefängnisse im ukrainischen Cherson von russischer Seite betrieben wurden. Wir müssen mitansehen, wie Uiguren in chinesischen Lagern brutal behandelt werden, und das aufgrund ihrer Ethnie und ihres Glaubens. Aber wir brauchen gar nicht ins Ausland blicken. Es reicht schon, wenn die Reichsbürger-Szene einen Putsch auf unsere Demokratie und den Aufbau einer Diktatur plant.
So wurde uns erst recht wieder im KZ Auschwitz-Birkenau die Grausamkeit dieser Diktaturen bewusst und die Ausmaße wiederum verdeutlicht. Wenn man vor dem Tor zu Auschwitz II (Birkenau) steht und zur Seite blickt, an unzähligen Wachtürmen und hohem Hochspannungs-Stacheldraht-Zaun vorbeischaut und irgendwo am Horizont ein Ende des Lagers erkennen kann, dann verspürt man die Dringlichkeit der Floskel „Nie wieder“.
(Aaron, Jgst. 12, Januar 2023)
„Aufgrund der langen Zeitspanne ist der Holocaust für meine Generation irrelevant. Man sollte endlich Gras über die Sache wachsen lassen!“ Das liest man im Netz immer wieder. Diese Aussage ist eine Parole, auf die man stößt, sobald man sich für Erinnerungskultur einsetzt.
Definitiv ist seitdem eine lange Zeit vergangen, die Generationen vor uns haben einen großen Teil aufgearbeitet, reflektiert, Schutzmaßnahmen in Form des Grundgesetzes entworfen und den überlebenden Opfern zugehört und ihnen Schutz und Unterstützung zugesprochen. Also ist doch jetzt alles gut, oder?
Nein! Wir als junge Generation sollten auch aus Dankbarkeit und Respekt die schwierige, anstrengende und unermüdliche Aufarbeitung erhalten und nicht vergessen. Des Weiteren, was würde es denn bedeuten, wenn wir diese Aufarbeitung beiseitelegten? Wir würden den Opfern keinen Respekt, Beistand oder ein offenes Ohr geben. Diese Menschen haben nur aufgrund ihrer Religion Diskriminierung, Folter, Zwangsarbeit und den Mord an engsten Angehörigen ertragen müssen und versuchen uns dennoch mit ihrer Geschichte etwas beizubringen: dass wir alle gleich sind.
Sobald man sich einmal fünf Sekunden Zeit nimmt und überlegt, wie es denn ist, wenn etwas Schreckliches passiert ist, sei es der Tod eines Familienmitgliedes, schwere Erkrankung eines Freundes oder auch wenn man schlichtweg einen schlechten Tag erwischt hat, wünschen wir uns dann nicht alle das offene Ohr unserer Mutter, unserer Familie, unserer Freunde? Kann man sich also nicht eine Stunde Zeit nehmen und die Geschichte eines anderen Menschen anhören und ihm ein offenes Ohr schenken?
Spielen wir den Gedanken „Gras über die Sache wachsen zu lassen“ einmal zu Ende: Sollten wir die Aufarbeitung tatsächlich liegen lassen und in 100 Jahren erinnert sich niemand mehr an die Geschichten der Menschen aus der Zeit des Holocaust, wer erkennt frühzeitig die Zeichen für eine aufkommende radikale Strömung? Wer beschützt uns davor? Gehörte ich selbst zu der Gruppe der Opfer, wünsche ich mir dann nicht Beistand von meinen Mitmenschen, die aus der Vergangenheit gelernt haben?
Heutzutage ist es bereits erkennbar, was passieren kann, wenn solche Gefahren nicht frühzeitig erkannt werden: Kandidatenländer der europäischen Union relativieren das Leid der Uiguren in China. Die dortige Situation zeigt: Wir sind noch nicht am Ende unserer Aufarbeitung. Genau genommen kann Aufarbeitung nie enden, sonst entstünde eine Lücke. Ich denke, so etwas KANN immer noch passieren! Deshalb ist es auch eine Aufgabe unserer Generation die Geschichten dieser schrecklichen Zeit anzuhören und zu reflektieren und insbesondere daraus zu lernen, um uns selbst und unsere Familie zu schützen. Niemand muss ein Experte sein, dennoch sollte jeder des Themas annehmen.
(Dario, Jgst. 12, Januar 2023)
Ankunft in Birkenau. Kalt. Es schneit. Viele andere Menschen. Voller als in Auschwitz I. Irgendwie zu voll. Gehen mit unserer Gruppe in einen der Türme, die das Lager umranden. Blick auf die Rampe. Viele Menschen. Dennoch kann man es sehen. Und hören. Ein Zug, der ankommt. Die Vorstellung, die man vielleicht schon vor dem Besuch hatte. Wie die Menschen hier ankommen. Die Vorstellung wird vorstellbarer. Fast realistischer. Diejenigen die sterben in die eine; die Aufgeschobenen in die andere Richtung. Aufgeschoben nicht aufgehoben. Das Grauen erwartet sie.
Die erste Baracke. Viele dreistöckige Betten. Ein langer Ofen. Er zieht sich durch den ganzen Raum. Gefangene müssen trotzdem gefroren haben, denn Kohle gab es kaum.
Wir gehen weiter. Anderer Bereich. Andere Baracke. Wieder dreistöckige Pritschen. Jemand hat auf eine der Pritschen eine Blume gelegt. Etwas Erwärmendes.
Später am Denkmal für die Opfer. Mehr Blumen. Mahnende Tafeln in vielen Sprachen.
In der Nähe zerstörte Krematorien. Von der SS gesprengt. Man muss sich also im Klaren darüber gewesen sein, dass man schreckliche Fehler begangen hat.
In den Gebäuden übriggebliebene Habe der Opfer. Zu real. Alles fast schon unglaublich lebensnah.
Ein paar von uns gehen zum Sinti und Roma Denkmal. Ein verschneiter Gedenkkranz.
Es wird dunkel. Niemand mehr außer uns. Gespenstische Stille. Inmitten einer solchen Anlage. Totenstille.
Justin, 2018
Wir werden begrüßt von einem großem Tor. Vor diesem befindet sich eine schwarz-weiß gestreifte Schranke mit der Aufschrift: “Halt! Stoj!” (wobei das Polnische eher für Neuankömmlinge im KZ gilt, denn alle mussten sofort Deutsch Sprechen und Verstehen können).
Über dem Tor sieht man das ironische Motto, das von dem Naziregime bei den KZs verwandt wurde: “Arbeit macht frei!”
Von links tut sich ein großes Backsteingebäude auf, welches das Verwaltungsgebäude der stationierten SS-Leute war. Rechts sieht man die ersten Backstein Baracken, die für die Gefangenen des Lagers bestimmt waren sowie einen Teil des Zaunes. Der Zaun besteht eigentlich aus zwei Zäunen Stacheldraht und stand unter Strom. Er umkreist das komplette KZ und wurde von in regelmäßigen Abständen aufgebauten Wachtürmen bewacht. Zwischen dem Zaun und der bebauten Fläche liegt ein weißer Streifen welcher “neutrale Zone” genannt wird. Jeder der sich nach dieser Zone auf den Zaun zubewegt hat wurde erschossen.
Wir gingen weiter in das Innere des Lagers. Nun erstrecken sich einige Backstein Baracken in beide Richtungen. In diesen Baracken erschließen sich uns die schrecklichen Bedingungen, unter denen die Gefangenen leben mussten.
Zu den eindrücklichsten Ausstellungen zähle ich die die zahlreichen Bilder von den Gefangenen sowie die letzte Baracke, in der sämtliche Reden der Nazis sowie Tagebücher von Gefangenen und Bewohnern um dem KZ herum illustriert wurden.
Zuletzt wurden wir zu einer Gaskammer gebracht, die man frei betreten konnte. Als man diese betrat, merkte man sofort wie die Luft unangenehm wurde. Es bedrückte einen dort zu stehen, wo damals 77 Leute auf engstem Raum ermordet wurden, ohne jegliche Chance zu fliehen.
Inzwischen wurde es dunkel und wir waren die letzte Gruppe im KZ. Dieses Gefühl von Kälte und Einsamkeit ließ mich erschaudern.
Marcel, 2018