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Gedenkstättenfahrt 2023


Man hört immer wieder Sprüche wie „Man sollte langsam mal Gras über die Sache wachsen lassen“ oder „Ich bin ja nicht schuld am Holocaust“. Letzteres stimmt definitiv. Trotzdem haben wir die Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen, dass wir aus der Vergangenheit lernen und dass das „Nie wieder“ nicht nur eine Floskel unserer (Ur-)Großeltern ist, sondern der Wirklichkeit entspricht. 

Weil uns die Verantwortung am Herzen liegt, haben wir – Teile der Q2 – an der Krakau-Fahrt teilgenommen und dabei das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das Galicia Jewish Museum sowie Schindlers Fabrik besichtigt und führten ein Zeitzeugengespräch mit einer jüdischen Frau, die dank ihrer Pflegeeltern größtenteils physischem Leid - als Kleinkind - aus dem Weg gehen konnte – im Gegensatz zum Großteil ihrer Familie. Ihre Mutter gab sie vor der Deportation an ein Heim ab und trug stattdessen eine Puppe bei sich, um die Personenzahl auf der Deportationsliste zu erfüllen. So rettete sie ihrer Tochter das Leben. Wiederholt wurde uns allen die Gewalt, der Schrecken und die Ausmaße der NS-Diktatur bewusst.

Warum wir auch nicht „Gras über das Sache wachsen lassen dürfen“, ist die Tatsache, dass Gewalt und politischer Extremismus beider Seiten allgegenwärtig sind. Wir müssen mitansehen, wie bei unseren europäischen Brüdern und Schwestern in Italien ein Senatschef akzeptiert wird, der - wissentlich - Mussolini-Statuen im eigenen Wohnzimmer ausstellt. Wir müssen in den Nachrichten erfahren, wie Foltergefängnisse im ukrainischen Cherson von russischer Seite betrieben wurden. Wir müssen mitansehen, wie Uiguren in chinesischen Lagern brutal behandelt werden, und das aufgrund ihrer Ethnie und ihres Glaubens. Aber wir brauchen gar nicht ins Ausland blicken. Es reicht schon, wenn die Reichsbürger-Szene einen Putsch auf unsere Demokratie und den Aufbau einer Diktatur plant.

So wurde uns erst recht wieder im KZ Auschwitz-Birkenau die Grausamkeit dieser Diktaturen bewusst und die Ausmaße wiederum verdeutlicht. Wenn man vor dem Tor zu Auschwitz II (Birkenau) steht und zur Seite blickt, an unzähligen Wachtürmen und hohem Hochspannungs-Stacheldraht-Zaun vorbeischaut und irgendwo am Horizont ein Ende des Lagers erkennen kann, dann verspürt man die Dringlichkeit der Floskel „Nie wieder“. 

(Aaron, Jgst. 12, Januar 2023)


„Aufgrund der langen Zeitspanne ist der Holocaust für meine Generation irrelevant. Man sollte endlich Gras über die Sache wachsen lassen!“ Das liest man im Netz immer wieder. Diese Aussage ist eine Parole, auf die man stößt, sobald man sich für Erinnerungskultur einsetzt.

Definitiv ist seitdem eine lange Zeit vergangen, die Generationen vor uns haben einen großen Teil aufgearbeitet, reflektiert, Schutzmaßnahmen in Form des Grundgesetzes entworfen und den überlebenden Opfern zugehört und ihnen Schutz und Unterstützung zugesprochen. Also ist doch jetzt alles gut, oder?

Nein! Wir als junge Generation sollten auch aus Dankbarkeit und Respekt die schwierige, anstrengende und unermüdliche Aufarbeitung erhalten und nicht vergessen. Des Weiteren, was würde es denn bedeuten, wenn wir diese Aufarbeitung beiseitelegten? Wir würden den Opfern keinen Respekt, Beistand oder ein offenes Ohr geben. Diese Menschen haben nur aufgrund ihrer Religion Diskriminierung, Folter, Zwangsarbeit und den Mord an engsten Angehörigen ertragen müssen und versuchen uns dennoch mit ihrer Geschichte etwas beizubringen: dass wir alle gleich sind.

Sobald man sich einmal fünf Sekunden Zeit nimmt und überlegt, wie es denn ist, wenn etwas Schreckliches passiert ist, sei es der Tod eines Familienmitgliedes, schwere Erkrankung eines Freundes oder auch wenn man schlichtweg einen schlechten Tag erwischt hat, wünschen wir uns dann nicht alle das offene Ohr unserer Mutter, unserer Familie, unserer Freunde? Kann man sich also nicht eine Stunde Zeit nehmen und die Geschichte eines anderen Menschen anhören und ihm ein offenes Ohr schenken?

Spielen wir den Gedanken „Gras über die Sache wachsen zu lassen“ einmal zu Ende: Sollten wir die Aufarbeitung tatsächlich liegen lassen und in 100 Jahren erinnert sich niemand mehr an die Geschichten der Menschen aus der Zeit des Holocaust, wer erkennt frühzeitig die Zeichen für eine aufkommende radikale Strömung? Wer beschützt uns davor? Gehörte ich selbst zu der Gruppe der Opfer, wünsche ich mir dann nicht Beistand von meinen Mitmenschen, die aus der Vergangenheit gelernt haben?

Heutzutage ist es bereits erkennbar, was passieren kann, wenn solche Gefahren nicht frühzeitig erkannt werden: Kandidatenländer der europäischen Union relativieren das Leid der Uiguren in China. Die dortige Situation zeigt: Wir sind noch nicht am Ende unserer Aufarbeitung. Genau genommen kann Aufarbeitung nie enden, sonst entstünde eine Lücke. Ich denke, so etwas KANN immer noch passieren! Deshalb ist es auch eine Aufgabe unserer Generation die Geschichten dieser schrecklichen Zeit anzuhören und zu reflektieren und insbesondere daraus zu lernen, um uns selbst und unsere Familie zu schützen. Niemand muss ein Experte sein, dennoch sollte jeder des Themas annehmen.
 

(Dario, Jgst. 12, Januar 2023)

Nein, Menschen müssen dies hier fühlen können!

Ankunft in Birkenau. Kalt. Es schneit. Viele andere Menschen. Voller als in Auschwitz I. Irgendwie zu voll. Gehen mit unserer Gruppe in einen der Türme, die das Lager umranden. Blick auf die Rampe. Viele Menschen. Dennoch kann man es sehen. Und hören. Ein Zug, der ankommt. Die Vorstellung, die man vielleicht schon vor dem Besuch hatte. Wie die Menschen hier ankommen. Die Vorstellung wird vorstellbarer. Fast realistischer. Diejenigen die sterben in die eine; die Aufgeschobenen in die andere Richtung. Aufgeschoben nicht aufgehoben. Das Grauen erwartet sie.

Die erste Baracke. Viele dreistöckige Betten. Ein langer Ofen. Er zieht sich durch den ganzen Raum. Gefangene müssen trotzdem gefroren haben, denn Kohle gab es kaum.

Wir gehen weiter. Anderer Bereich. Andere Baracke. Wieder dreistöckige Pritschen. Jemand hat auf eine der Pritschen eine Blume gelegt. Etwas Erwärmendes.

Später am Denkmal für die Opfer. Mehr Blumen. Mahnende Tafeln in vielen Sprachen.

In der Nähe zerstörte Krematorien. Von der SS gesprengt. Man muss sich also im Klaren darüber gewesen sein, dass man schreckliche Fehler begangen hat.

In den Gebäuden übriggebliebene Habe der Opfer. Zu real. Alles fast schon unglaublich lebensnah.

Ein paar von uns gehen zum Sinti und Roma Denkmal. Ein verschneiter Gedenkkranz.

Es wird dunkel. Niemand mehr außer uns. Gespenstische Stille. Inmitten einer solchen Anlage. Totenstille.

Justin, 2018

 

Wir werden begrüßt von einem großem Tor. Vor diesem befindet sich eine schwarz-weiß gestreifte Schranke mit der Aufschrift: “Halt! Stoj!” (wobei das Polnische eher für Neuankömmlinge im KZ gilt, denn alle mussten sofort Deutsch Sprechen und Verstehen können).

Über dem Tor sieht man das ironische Motto, das von dem Naziregime bei den KZs verwandt wurde: “Arbeit macht frei!”

Von links tut sich ein großes Backsteingebäude auf, welches das Verwaltungsgebäude der stationierten SS-Leute war. Rechts sieht man die ersten Backstein Baracken, die für die Gefangenen des Lagers bestimmt waren sowie einen Teil des Zaunes. Der Zaun besteht eigentlich aus zwei Zäunen Stacheldraht und stand unter Strom. Er umkreist das komplette KZ und wurde von in regelmäßigen Abständen aufgebauten Wachtürmen bewacht. Zwischen dem Zaun und der bebauten Fläche liegt ein weißer Streifen welcher “neutrale Zone” genannt wird. Jeder der sich nach dieser Zone auf den Zaun zubewegt hat wurde erschossen.

Wir gingen weiter in das Innere des Lagers. Nun erstrecken sich einige Backstein Baracken in beide Richtungen. In diesen Baracken erschließen sich uns die schrecklichen Bedingungen, unter denen die Gefangenen leben mussten.

Zu den eindrücklichsten Ausstellungen zähle ich die die zahlreichen Bilder von den Gefangenen sowie die letzte Baracke, in der sämtliche Reden der Nazis sowie Tagebücher von Gefangenen und Bewohnern um dem KZ herum illustriert wurden.

Zuletzt wurden wir zu einer Gaskammer gebracht, die man frei betreten konnte. Als man diese betrat, merkte man sofort wie die Luft unangenehm wurde. Es bedrückte einen dort zu stehen, wo damals 77 Leute auf engstem Raum ermordet wurden, ohne jegliche Chance zu fliehen.

Inzwischen wurde es dunkel und wir waren die letzte Gruppe im KZ. Dieses Gefühl von Kälte und Einsamkeit ließ mich erschaudern.

Marcel, 2018