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Krakau 2024

„Die persönlichen Gegenstände der Opfer – Haare, Schuhe, Koffer – beweisen, dass insgesamt mehrere Millionen Menschen in den Konzentrationslagern inhaftiert waren und in den Gaskammern gestorben sind. Auch die Zeitzeugen und ihre Geschichten bewahren die Erinnerung an die Opfer. So erinnere ich mich an die Zeitzeugin, die uns im jüdischen Museum Galizien erzählte, wie sie in einem Kloster erzogen wurde und wie ihre heutige Freundin im Konzentrationslager für Versuche benutzt wurde, nachdem beide als Kinder von ihren Familien getrennt worden waren. Jeder Raum und jeder Gegenstand in der heutigen Gedenkstätte Auschwitz und jeder Überlebende erzählt eine eigene Geschichte, die es wert ist, gehört zu werden.“

Marie, Klasse 12, Februar 2024

 

„Eine Fahrt, welche nicht nur Geschichte lehrt, sondern mir auch eine wichtige Einsicht gebracht hat: es muss mit allen Mitteln danach gestrebt werden, eine derartige Missachtung der Menschenwürde niemals wieder zuzulassen.

Unsere Gesellschaft ist auch heute lange nicht perfekt. Deshalb müssen wir dafür einstehen, dass kein Individuum das Recht hat, sich über ein anderes zu stellen.“

Isabell, Klasse 12, Februar 2024

Peter Keup - ein DDR Zeitzeuge

Am 29.1.2024 besuchte uns der DDR-Zeitzeuge Peter Keup am Abtei-Gymnasium. Peter Keup war erfolgreicher Turniertänzer und vertrat die DDR bei zahlreichen Meisterschaften in der Nationalmannschaft. Seine Familie kam ursprünglich aus dem Westen, aus Essen, und zog in die DDR, um den Traum des „antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaats“ zu leben, wie damals propagiert wurde. Da er auch im Westen an Turnieren teilnehmen wollte, plante er die Republikflucht. Bei einer Passkontrolle im Zug wurde er im Juli 1981 von der Stasi festgenommen und zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt. Im März 1982 gelangte er im Rahmen des Häftlingsfreikaufs in die Bundesrepublik. Jahre später fand er sogar heraus, dass sein Bruder für die Stasi gearbeitet hatte. Heute arbeitet Peter Keup als Historiker, um die Geschichte der DDR, sowie seine eigene, aufzuarbeiten.

Sein Vortrag war enorm spannend. Was er erlebt hat, reicht für drei Leben.

Wir danken ihm, dass er sich die Zeit genommen hat, seine Erfahrungen mit uns zu teilen und uns auf die teils sehr persönlichen Fragen offen und ausführlich zu antworten.

Es ist kaum zu glauben, dass es noch zu Lebzeiten unserer Eltern einen solchen zweiten Unrechtsstaat auf deutschem Boden gegeben hat. Aktuell sehen wir, wie wichtig es wieder ist, für unsere Demokratie zu kämpfen. Sie ist nicht selbstverständlich, sondern harte Arbeit.

Die zweite Diktatur auf deutschem Boden

Zeitzeugengespräch mit DDR-Tunnelgräber Joachim Neumann - ein Leben wie aus einem Roman

Mit viel Eifer und Neugier sind wir auf den Parkplatz der Wolfsburg in Mülheim a.d.R. getreten. Es war ein ganz neuer Ort, neue Eindrücke. Als wir alle zusammen die Wolfsburg betreten haben, kam man direkt in einen großen Saal mit Treppe, die wir natürlich ganz schnell hoch eilten. Ein weiterer großer Saal mit Getränken, Brezeln und vielen Menschen von jung bis alt hat uns schon erwartet. Eine Tür links hat uns dann in einen weiteren, jedoch kleineren Saal geführt, ähnlich aufgebaut wie im Kino. Nachdem wir uns alle etwas gestärkt hatten, gingen wir hinein und setzten uns in die Reihen. Wir waren alle ganz aufgeregt, waren voller Erwartungen und hatten verschiedene Gedankengänge, wie ,,Wie wird das Gespräch mit Herrn Neumann?“ oder ,,lohnt es sich überhaupt dahin zu gehen?“ im Nachhinein können wir sagen: ,,definitiv ja.“

Wir durften Herrn Neumanns Gedankenwelt im Laufe der Zeit und in jeder Handlung kennenlernen, auch seine Intuition hat eine sehr große Rolle gespielt. Sie war sehr spezifisch auf ihn und seinen Bekanntenkreis bezogen. Herr Neumann hat wirklich Atemberaubendes geleistet und sogar sein Leben aufs Spiel gesetzt. Als Berlin damals in zwei Hälften geteilt worden ist, blieben er und seine fünf Freunde auf der östlichen Seite zurück. Die Gruppe wollte dies aber nicht akzeptieren, denn sie wollten nach Westberlin, Freiheit genießen. Sie gaben sich das Versprechen, dass, wenn einer auf die andere Seite kommt, dieser den anderen hilft, auf die westliche Seite zu kommen. Drei der sechs Freunde haben es letztendlich mit Pässen von ausländischen Bürgern geschafft und lebten somit auf der westlichen Seite. Sie hatten alle einen Studienplatz gefunden und waren äußerst beschäftigt mit ihrem Studium. Doch sie wussten alle, dass sie den anderen drei Freunden helfen mussten, auf die westliche Seite zu kommen. Nach geraumer Überlegzeit kamen Herr Neumann und seine beiden Freunde auf die Idee, einen Tunnel zu bauen, um Freunde und Verwandte auf die westliche Seite zu bekommen, ohne dass die Stasi das jemals herausfindet. Doch sie waren auch nicht die ersten mit dieser Idee. Die Stasi hatte schon mehrere Tunnel entdeckt, doch trotzdem wollten sie es probieren. Sie machten sich auf die Suche nach anderen Tunnelbauern. Gemeinsam mit circa 15 anderen Tunnelbauern schafften sie es, insgesamt vier Tunnel mit einem Durchmesser von circa 80 Zentimetern zu graben. Zwei der vier Tunnel wurden jedoch verraten und die Stasi nahm über 20 Flüchtige fest. Sie wurden dann wegen Republikflucht angeklagt und mussten Haftstrafen ableisten. Einer der übriggebliebenen Tunnel war zu nah an der Oberfläche und es ist zu einem Rohrbruch an einer Wasserleitung gekommen, sodass nur zwei Nächte lang Menschen flüchten konnten. Beim letzten Tunnel wussten die Tunnelbauer noch gar nicht, dass es der letzte Tunnel sein sollte. Tunnel 57, dessen Ende in einer Tragödie münden sollte. Die Stasi war informiert, dass ein Tunnel eröffnet wird, wussten jedoch noch nicht wo. An der Grenze hat die Stasi dann alle Menschen angefangen, die nach Studenten und somit auch nach Kurieren aussahen. Am Abend kehrten zwei der Kuriere jedoch nicht zurück. Alle wussten, dass irgendwas an der Sache faul sein muss, waren sich jedoch einig, dass sie die Aktion nicht einfach abblasen können. Einer der beiden Kuriere kam irgendwann doch zurück und erzählte, dass sie an der Grenze festgehalten und ausgefragt wurden. Sie war jedoch keine "typische" Studentin und konnte den Mitarbeitern von der Stasi stundenlang erzählen, dass sie nur eine Schneiderin sei und keine Studenten kennen würde. Doch den anderen Kurier hat niemand mehr gesehen. Hinterher hat sich herausgestellt, dass er bei der Befragung der Stasi irgendwann die Adresse herausgegeben hat. Als eine ganze Tour Menschen abends durch den Tunnel hindurch waren, kamen zwei junge Herren, die zusammen mit ihren Freunden fliehen wollten. Einer der Tunnelgräber, der am Eingang stand, stimmte zu, dass einer der beiden den Freund holt und der andere da bleibt. Jedoch hatte dieser sich losgerissen und ist weggerannt. Eilig kam der Tunnelgräber zu den anderen gerannt und erzählte ihnen am Eingang, welcher an einem alten Plumpsklo lag, was passiert ist. Alle Tunnelgräber hatten Verdacht geschöpft, wussten aber, dass noch viele Menschen kommen würden, um zu fliehen. Unter anderem die Freundin von Herrn Neumann, die durch einen Kurier spontan losgeschickt wurde. Sie entschieden sich trotz alledem, abzuwarten. Nach geraumer Zeit kamen die beiden mit ihren Freunden wieder und alle dachten, es ist ja doch noch alles gut gegangen. Falsch gedacht. Als die drei näher kamen, hat der Tunnelgräber an der Tür erkannt, dass der eine ,,Freund“ eine Uniform trägt und ist panisch schreiend gerannt. Die drei bewaffneten Männer hinterher. Sie schossen. Zwei der Tunnelgräber sprangen vor Angst gleichzeitig in den Tunnel und steckten fest. Herr Neumann sprang in der Angst hinterher. Der vierte schoss ein paar mal den drei Männern entgegen, um etwas Deckung zu kriegen. Auch er sprang den drei Tunnelgräbern, die noch immer im Tunnel feststeckten hinterher. Nun hatten sie genug Gewicht, dass sie mit Gewalt durchrutschten. Sie krabbelten um ihr Leben, um schnell wieder auf die westliche Seite zu kommen. Sicher in Westberlin angekommen, erzählte einer der Tunnelgräber, dass er wahrscheinlich einen der drei Männer getroffen hätte. Sie dachten sich nichts dabei und schalteten den Fernseher ein. In den Ostberliner Nachrichten gab es eine Eilmeldung: ,,Tunnelgräber haben auf einen Mitarbeiter der Stasi geschossen und ihn umgebracht.“ Alle vier guckten sich an und konnten natürlich eins und eins zusammen zählen. Einer der vier hatte den Stasi Mitarbeiter auf dem Gewissen. Alle vier einigten sich, niemals mit jemanden darüber zu reden. Der vermeintliche Schütze beendete sein Medizinstudium und arbeitete auch als Arzt. Jedoch kam er nicht damit klar, den Soldaten umgebracht zu haben. Er wurde krank und starb früh. Jahre später durften Herr Neumann und seine Freunde Einsicht in die Stasi-Akten nehmen und haben herausgefunden, dass, als der eine Tunnelgräber ihn angeschossen hat, der Mann von der Stasi zu Boden fiel und ein weiterer Mann von der Stasi schoss und ihn versehentlich traf. Er traf die Hauptschlagader und erlag seinen Verletzungen direkt. Somit ist den Freunden klar geworden, dass ihr Freund niemanden umgebracht und sich sein Leben völlig umsonst zur Hölle gemacht hatte.

Herr Neumann und seine Freunde haben Unglaubliches geleistet: Sie haben 89 Menschen über die Tunnel in die Freiheit verholfen. Spannend anzuhören war auch, wie er heute darüber denkt, ob es eine gute Entscheidung war, sein Leben so zu führen, wie er es letztendlich getan hat oder ob er es im Nachhinein anders gemacht hätte.

Es war eine wunderschöne Erfahrung. Auch wenn es am Anfang ein bisschen haperte und wir uns noch nicht so getraut haben, sind am Ende einige Fragen von uns Schülerinnen und Schülern gestellt worden. Es ist etwas komplett anderes, wenn man etwas in einer Quelle liest oder von einer Lehrkraft erzählt bekommt, als wenn man wirklich mit einen Zeitzeugen spricht. Im Schulbuch oder sonstigen Quellen ist eher die sachliche Lage, oftmals objektiv dargestellt, doch Herr Neumann hat uns allen das Gefühl gegeben, wirklich dabei gewesen zu sein. Wir haben die Dinge aus seiner Sicht kennengelernt und das würde ein Lehrbuch niemals so hinbekommen.

Es war uns allen eine Ehre, ihn kennen zu lernen.

Lilly Blott

Eine (Über)Lebensgeschichte

Am 14. Januar hatten die Schülerinnen und Schüler des Abtei-Gymnasiums die Gelegenheit, die Holocaust-Überlebende Michaela Vidláková sprechen zu hören, ihre (Über)Lebensgeschichte via Zoom erzählt hat, um auch in Zeiten der Pandemie möglichst viele Schülerinnen und Schüler erreichen zu können.

Michaela Vidláková wurde 1936 in Prag geboren. Mit sechs Jahren wurde sie mit ihren Eltern in das Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie überlebte den Holocaust und arbeitete später in einem Forschungsinstitut in Prag als Biochemikerin.

Der BILDUNGSPARK MG und ZWEITZEUGEN e.V. haben im Rahmen des Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus dazu eingeladen, durch diese Veranstaltung die Auswirkungen von Antisemitismus zu verstehen. Die Schülerinnen und Schüler wurden durch die Reise durch Michaelas Geschichte selbst zu Zweitzeuginnen und Zweitzeugen. Die knapp dreihundert Schülerinnen und Schüler, teilweise zusammen mit ihren Eltern, hörten zwei Stunden lang gebannt zu. Nun ist es an ihnen, ihre Geschichte weiter zu erzählen.

ZWEITZEUGEN e.V. ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern sogar, Michaela Briefe zu schreiben. Diese werden auf jeden Fall an sie zugestellt:

 

Sehr geehrte Frau Vidlakova,

ihre Lebensgeschichte, welche sie im Online-Meeting erzählt haben, hat mich

zutiefst berührt. Die Dinge, die sie schon als kleines Kind erlebt haben, das Leben unter 

dem Nazi-Regime und im Ghetto ist traurig und erschüttert einen sehr. Auch wenn man 

auf anderem Wege über die damalige Zeit recherchieren und forschen kann, ist eine 

Erzählung wie die Ihre ein einmaliges und eindrückliches Erlebnis.

Ihre Geschichte von Ihnen persönlich erzählt zu bekommen, ist etwas ganz Besonderes, was ich 

niemals vergessen werde und auch später meinen Kindern weitererzählen werde, weil

Aufklärung über die damalige Zeit das Fundament der einer guten Bildung ist.

Ich danke Ihnen vielmals!

    Yafes-Esed, Klasse 11

 

 

Sehr geehrte Frau Vidláková,

weil wir die Möglichkeiten hatten an einem Zeitzeugengespräch mit Ihnen teilnehmen zu dürfen, habe ich darüber nachgedacht, welche Bedeutung mir nun als Zweitzeugin zukommt.

Bald gibt es nur noch Interviews, Aufnahmen oder Videos, die als eine Quelle dienen können.

Ein direkter Kontakt mit einem Menschen, der eine schwere Vergangenheit hinter sich hat, gibt mir jedoch ein ganz anderes Gefühl, als mit einem Menschen über einen Bildschirm in Kontakt zu sein

Bei einem persönlichen Treffen sind meiner Meinung nach viel mehr Emotionen vorhanden. Vielen Menschen ist es nicht bewusst, welchen Wert Zeitzeugen eigentlich haben. Nun sind wir die neue Quelle, die erzählen kann, wie es für Menschen wie Sie war und was Ihre Erzählung mit uns gemacht hat.

Im direkten Gespräch damit konfrontiert zu werden, wie sich dieser Mensch gefühlt hat, erzeugt bei mir eine andere Art von Empathie als wenn ich ein Interview im Internet schaue.

Ich sehe es als eine einmalige Chance die Geschichte eines Überlebenden gehört zu bekommen, unabhängig

    Michelle, Klasse 11

 

 

Sehr geehrte Frau Vidlakowa,

in diesem Brief möchte ich Ihnen meine Gedanken zu ihrer erzählten Lebensgeschichte bei den

Zweitzeugen e.V. mitteilen.

Als ich die Veranstaltung digital betrat, war mir bewusst, dass die Lebensgeschichte, die Sie zu

erzählen haben, nicht sonderlich einfach ist, da ich schon bereits den Vortrag von Herrn Leon

Weintraub bei den Zweitzeugen e.V. gehört und mich darüberhinaus mit einigen traurigen

Lebensgeschichten beschäftigt habe.

Jedoch ist jede einzelne Geschichte so unterschiedlich beeindruckend und bedrückend, sodass

auch Ihre Lebensgeschichte mir lange im Gedächtnis bleiben wird.

Ihre Geschichte hat mir wieder einmal die traurige Wirklichkeit, dass sechs Millionen unschuldige

Menschen - aufgrund einer mir unerklärbaren und inakzeptablen Einstellung - gestorben sind,

gezeigt.

Das hat mich zutiefst bedrückt und auch emotional mitgenommen, da mir immer wieder bewusst

wird, dass hinter jeder dieser Zahl von sechs Millionen auch jedes Mal tragische Geschichten

stecken und Sie einem einen Eindruck von dieser - zum Glück vergangenen - Zeit verschaffen

können.

Vielen Dank, dass Sie sich überwinden können und uns ein Gefühl von dem geben, was Sie erlebt

haben. Und ebenfalls herzlichen Dank für Ihre Warnung, dass niemals mehr so etwas passieren

darf.

Außerdem bewundere ich Ihre heutige Einstellung.

Herr Weintraub fasste Sie passend zusammen: „Ich kann nicht verzeihen, aber mich mit der

aktuellen Generation versöhnen.“

Eine solche Einstellung kostet viel Kraft, die bestimmt nicht jeder aufbringen könnte.

Deswegen auch vielen Dank, dass Sie auch oder vor allem vor deutschen Schülern sprechen.

Ich - als Zweitzeuge - werde definitiv etwas weitergeben.

Einmal auf jeden Fall Ihre Warnung und die Erinnerung an die vielen Menschen, die nicht überlebt

haben, aber auch an die, die überlebt haben.

Und die, die Interesse an Ihrer Lebensgeschichte zeigen, werde ich daran teilhaben lassen.

Ich wünsche Ihnen viel Kraft und geben Sie Ihre Lebensgeschichte bitte an möglichst viele

Menschen weiter!

    Aaron, Klasse 11

„Ihr seid jetzt meine Zweitzeugen, ob ihr wollt oder nicht.“ – Die Geschichte einer Überlebenden des Holocaust

Am 22. Januar 2020 besuchten Schülerinnen und Schüler der Klassen 9, 11 und 12 den Vortrag von Eva Weyl, die als junges Mädchen das Lager Westerbork in den Niederlanden überlebt hat. Ihre Familie, Juden aus Deutschland, waren in die Niederlande ausgewandert, um dort der Verfolgung zu entgehen.

Sie schilderte den Schülerinnen und Schülern in ihrem Vortrag in der Wolfsburg in Mülheim an der Ruhr eindrücklich, wie sie mit ihrer Familie drei Jahre lang im Lager lebte. Dabei erfuhren die Schülerinnen und Schüler Dinge, die sie so von einem Lager der Nationalsozialisten nicht erwartet hätten. Frau Weyl ist dort sogar zur Schule gegangen und lernte ganz normale Dinge, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, wie Grundschüler es auch heute noch tun. Auch Unterhaltung in Form von Theater hat es gegeben. Frau Weyl erklärte, dass dieses perfide System der Täuschung durch den Lagerkommandanten Albert Konrad Gemmeker aufgebaut wurde, um den Schein zu wahren und in niemandem den Verdacht aufkommen zu lassen, man würde die Juden vernichten wollen. Kranke wurden sogar im lagereigenen Krankenhaus geheilt, nur um dann später mit einem Zug in eines der Vernichtungslager in den Osten gebracht zu werden. Gemmeker hat so rund 80 000 Juden in den Tod geschickt. Er hat bis zum Ende geleugnet von den Gräueltaten der Nazis im Osten gewusst zu haben. Dabei spricht Eva Weyl von einer „Industrialisierung des Mordens“, die von den Nazis am Mittagstisch geplant wurde.

In Gemmekers Familie wurde über das Thema geschwiegen. Auch das Leben seiner Enkelin, Anke Winter, wurde durch die Last der Vergangenheit nachhaltig geprägt. Dennoch gelingt es ihr heute, offen über das Thema zu sprechen. Als Frau Winters Sohn vor einigen Jahren Westerbork mit der Schule besuchte, entstand der Kontakt zu Frau Weyl und beide Frauen freundeten sich an.

Frau Weyl erzählte, dass als sie von der Enkelin Gemmekers erfuhr, sie dachte: „Was muss das arme Mädchen für ein schlimmes Leben gehabt haben.“ Nachdem sie sie kennengelernt hatte, stellte sie fest: „Wir beide sind Opfer des gleichen Mannes.“ Gemeinsam setzen sie sich heute für Toleranz und gegen Rassismus ein.

Dabei hat Eva Weyl eine wichtige Botschaft für die Schülerinnen und Schüler, die sie immer wieder wiederholte:

„Denkt nach bevor ihr sprecht oder handelt. Macht nicht einfach, was euch jemand sagt ohne nachzudenken. Auf euer Herz müsst ihr hören.“

„Ihr habt keine Schuld, auch eure Eltern nicht. Aber ihr habt die Verantwortung für die Zukunft.“

„Ihr seid jetzt meine Zweitzeugen, ob ihr wollt oder nicht.“

Diesen eindringlichen Appell nehmen die Schülerinnen und Schüler sehr ernst. Hier ein paar Gedanken der Jahrgangsstufe 9 nach dem Vortrag:

„Mir hat die Veranstaltung wirklich gut gefallen, da ich es sehr interessant und auch wichtig finde, diese schreckliche Zeit aus verschiedenen Perspektiven geschildert zu bekommen. Besonders gut war meiner Meinung nach, dass auch jemand da war, der die „Täterperspektive“ vertreten hat, aber auch, dass uns klargemacht wurde, dass nicht wir schuld an den Geschehnissen der Vergangenheit sind, sondern nur daran, was wir aus ihr machen. Außerdem war es viel authentischer, als wenn man nur in Büchern darüber liest.“ „Ich glaube, dass wir alles so geschockt von Frau Weyls Geschichte waren, dass wir uns alle einig sind, dass wir auf keinen Fall die Fehler unserer Vorfahren wiederholen dürfen. (Elena, Klasse 9)

„Ich fand auch Frau Winters Vortrag sehr wichtig, da er mir gezeigt hat, dass auch die Nachkommen von ‚Tätern‘ nicht schuldig sind.“ (Marlene, Klasse 9)

„Mir hat die Veranstaltung ziemlich gut gefallen, weil es für mich eine wertvolle Erfahrung war. Ich habe sehr viel und vor allem Neues erfahren. Es war sehr interessant, den beiden Frauen zuzuhören. Ich hatte eigentlich den ganzen Vortrag über eine Gänsehaut. Ich fand es sehr mutig, vor allem von Gemmekers Enkelin, so offen über alles zu sprechen. Man konnte sich durch den Vortrag besser in die Menschen hineinversetzen. Ich möchte in Zukunft weiterhin solche Angebote wahrnehmen, insbesondere, weil ich nach diesem Vortrag ganz anders über die Menschen von damals denke.“ (Johanna, Klasse 9)

„Ich würde gerne häufiger solche Angebote wahrnehmen, da man auf diese Weise mehr über Geschichte lernen kann als in den Büchern steht. Man kann sich viel besser in die Lage einer betroffenen Person hineinversetzen, die dies am eigenen Leib miterlebt hat, wenn sie direkt vor einem steht und man ihr zuhören kann.“ (Lena, Klasse 9)

„Ich finde solche Begegnungen mit Zeitzeugen wichtig, da jeder etwas über unsere Geschichte lernen sollte. Frau Weyl sagte, dass wenn diejenigen sterben, die das Verbrechen der Nationalsozialisten überlebt haben, wir ihre Geschichte weitererzählen müssen.“ (Julius, Klasse 9)

„Für mich war der Abend sehr wichtig, weil ich der Meinung bin, dass die Zeit des Nationalsozialismus zur Geschichte Deutschlands dazugehört und man sich mit ihr auseinandersetzen sollte. Man muss diese Geschichten den zukünftigen Generationen weitererzählen.“ (Marius, Klasse 9)

„Für mich hatte die Veranstaltung einen historischen Wert, weil ich so zum „Zweitzeugen“ wurde, wie Frau Weyl gesagt hat. Die Geschichte darf nicht vergessen werden. So etwas darf nie wieder passieren.“ (Marcel, Klasse 9)

Bilder vom Workshop mit Sara Atzmon

Wir, insgesamt 9 Schüler und Schülerinnen, durften am 08. und 09.11.2018 an einem Kunstprojekt der Zeitzeugin Sara Atzmon teilnehmen.

Sara Atzmon ist eine überlebende Jüdin des zweiten Weltkrieges und hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Geschichte in die Welt zu tragen.

Ich persönlich fand ihre Erfahrungen sehr spannend und mitreißend und denke, dass dieses Projekt sehr wichtig ist.

Zuerst hörten wir ihre Erzählungen und durften dann selbst künstlerisch kreativ werden. Frau Atzmon gab uns währenddessen wertvolle Tipps und motivierte uns, unsere Kunstwerke möglichst groß zu gestalten. Sie selbst verarbeitet ihre schrecklichen Erfahrungen in der Kunst, dies sehe ich als eine sehr positive Form des Umgangsmit ihrem Schicksal. Künstlerische Gestaltung ist eine gute Möglichkeit, schreckliche Dinge zu verkraften und sich damit auseinanderzusetzen.

Insgesamt war dieses Projekt eine wirklich prägende Erfahrung. Von Zeitzeugen kann und muss man lernen. Ihre Sicht auf die Welt ist eine andere als wir sie jemals haben werden. Sie strahlen eine besondere Lebenseinstellung aus und haben ein großes Kämpferherz, an dem wir uns alle ein Beispiel nehmen sollten. Man sollte, solange diese Möglichkeit noch besteht, jede Minute mit Zeitzeugen aufsaugen und sich ihre Geschichten anhören. Irgendwann werden wir diejenigen sein, die die Geschichten weitergeben können, dürfen und müssen. Es muss erinnert und aufgeklärt werden, dafür wollen wir kleinere und auch größere Beiträge leisten.

Marie Lütte, Jg. 10

 

Engagiert euch! Stellt euch gegen Diskriminierung, Gewalt und verhindert kommende Kriege. Das Schicksal dieser Welt liegt in euren Händen.

Während unserer Fahrt nach Warschau und unserer Besichtigung der KZ-Gedenkstätte Auschwitz hatten wir die Gelegenheit, mit einer Zeitzeugin zu sprechen, die als Dreijährige in die Kinderbaracke in Auschwitz kam:

"Überall um das Lager war Draht. Meterhoher Stacheldraht mit Betonpfeilern umgab das gesamte Lager. Er stand unter Strom, um uns drinnen zu halten. Doch manche hielten es nicht aus, und gingen freiwilig in den Draht, um zu entkommen. Ich habe das damals nicht wirklich verstanden; Ich war noch ein Kind als ich nach Birkenau kam. Als ich das Lager betrat, war ich drei Jahre alt. Als ich es verließ, war ich fünf.

Meine Familie wurde von mir getrennt. Ich fragte mich, warum ich so alleine war. Ich wurde aus meiner vertrauten Umgebung gerissen, und an diesen Ort voller Angst gebracht. Diese Angst bestimmte mein Leben für die nächsten Monate. Angst vor den Hunden, Angst vor den Ratten, Angst vor den Männern in den weißen Kitteln. Angst, den Tag nicht zu überleben.

Meine Heimat lag tausend Kilometer von Birkenau entfernt, mitten in der Sowjetunion. Wir waren Zivilisten, keine Soldaten oder Politiker. Dennoch kam im Dezember 1943 die Wehrmacht zu uns, um uns zu verhaften. Angeblich hätten wir lokale Partisanen unterstützt, doch zu der Zeit machten Gefängnisse nur solche Razzien, um einen vollen Zug nach Auschwitz zu bekommen. Aus meinem Dorf wurden besonders viele alte Menschen und Frauen mit Kindern verhaftet. Mit ihnen zusammen kam ich in die überfüllten Viehwaggons. Wir hatten keine Nahrung, keine Toiletten und nichts zu trinken. Es war kalt. Die Temperaturen sanken bis auf -20°C, und wir hatten nichts, um uns zu wärmen. Viele starben bereits auf dieser Fahrt, noch bevor wir das Lager erreichten.

Sobald wir dort waren, wurden wir aus den Wagen gezerrt. Wir mussten uns aufstellen, und dann wurden wir aufgeteilt. Wir begriffen sofort, dass dies ein schrecklicher Ort war. Die Scheinwerfer, die die Nacht erhellten, strahlten unangenehm hell auf uns herab, die uniformierten SS-Soldaten schrien uns an, ihre Hunde bellten. Wir leisteten keinen Widerstand, dazu waren wir viel zu verängstigt. Als sie uns dann in zwei Gruppen aufteilten, wurden meine Mutter und ich von meinen Großeltern getrennt. Sie wurden der ersten Gruppe zugeordnet. Diese war deutlich größer als unsere, und bestand aus den alten und kranken Gefangenen. Sie wurden direkt nach rechts in die Gaskammern gebracht.

Meine Mutter und ich wurden mit den anderen Gefangenen nach links gebracht. Dort mussten wir uns für die Quarantäne ausziehen. Alles geschah vor den Augen der Offiziere, sogar das Rasieren. Allen Frauen wurden alle Harre entfernt. Sie haben uns alles geraubt, und nun sogar die Haare. Wir Kinder wurden in die Dusche gebracht. Währenddessen bekamen unsere Mütter die Sträflingskleidung. Als wir sie wiedersahen, erkannten wir sie nicht mehr. Mit ihren kahlen Köpfen und der grau-blau gestreiften Kleidung und den groben Holzschuhen sahen sie fremd aus. Dann bekamen wir unsere Nummern tätowiert. Meine steht heute noch auf meinem Arm. Das war ein sichtbares Zeichen für unseren Eintritt ins Lager. Wir waren keine Menschen mehr, nur noch Nummern.

Sie trennten uns Kinder von unseren Müttern. Sie hielten uns fest, wir weinten und schrien, doch die Soldaten zerrten uns fort. Sie warfen uns zur Seite wie Tiere. Schließlich zerrten sie uns in die Kinderbaracken. Die Frauen, die uns dort bewachten, kamen aus deutschen Gefängnissen. Sie befolgten jeden Befehl und machten alles mit uns, ohne Gefühle, ohne Menschlichkeit. Sie gehörten zur untersten Schicht in der Hierarchie der Täter, sie hatten keinerlei Moral.

Die Baracke war immer dunkel, egal, ob es draußen Nacht oder Tag war. Es gab nur kleine Fenster und eine einzige Lampe. Die Pritschen, auf denen wir schliefen, waren aus Ziegelstein oder Beton. Auf ihnen lagen bereits Kinder, dicht gedrängt. Sie starrten uns mit ihren riesigen Augen, die wegen ihrer Magerkeit hervortraten, an. Wie Skelette sahen sie für mich aus. Die Pritschen waren nur dünn mit Stroh bedeckt. Wenn man Glück hatte, lag darauf eine Decke, starr vor Dreck und Ungeziefer. Es gab weder Toiletten, noch fließend Wasser.

Wir mussten schnell die Befehle auf Deutsch lernen, bestimmte Signalwörter, mit denen wir uns gegenseitig warnen konnten. Wir verständigten uns auch teilweise auf anderen Sprachen, da wir aus vielen verschiedenen Ländern kamen. Dieser Lager-Jargon war für uns überlebenswichtig.

Zum Frühstück gab es eine Scheibe trockenes Brot. Am Mittag gab es eine braune Suppe, die Reste des Essens für die Offiziere. Wir Neuen hatten noch keine Suppenschalen und konnten deswegen nichts essen. Der Hunger war wohl das schlimmste im Lager, und die Insekten, die uns nachts stachen.

Fast alle Kinder in unserer Baracke wurden krank. Die meisten bekamen Bauchschmerzen und Durchfall; die Blockälteste besorgte uns Nachttöpfe. Manche Kinder saßen stundenlang darauf, da sie keiner sauber machte. Dies war auch ein Grund dafür, dass wir langsam abstumpften. Niemand kümmerte sich um uns, jede Handlung war durch Instinkte, den Kampf um das Essen und die Angst geprägt. Vor der Blockältesten hatten wir besonders Angst. Ihre Aufgabe war es, für Ruhe in der Baracke zu sorgen, und wenn ein Kind schrie, zögerte sie nicht, zuzuschlagen. Dann war es ruhig.

Heute sieht man davon nichts mehr in den Baracken. Heute ist alles sauber und gelüftet. Früher stank es überall nach Exkrementen und ungewaschenen Kindern.

Einer, vor dem wir besonders viel Angst hatten, war Dr. Mengele. Sobald wir ihn in die Nähe der Baracke kommen sahen, warnten wir einander und versteckten uns unter den Pritschen und in den dunkelsten Ecken. Doch die, die er fand, nahm er mit und benutzte sie für seine pseudo-medizinischen Versuche. Wir nannten ihn den ,,Todesengel''. Sein Gesicht war wunderschön, doch seine Seele war unmenschlich. Jeden Tag starben unzählige Häftlinge durch seine Experimente. Auch ich wurde von ihm dafür benutzt. Bis heute kann ich noch die Einstichstellen sehen. Ich bekam angebliche ,,Impfungen'', viele davon im Auftrag von großen Pharmakonzernen, die an uns günstig neue Medikamente testen konnten. Doch ich bekam auch Spritzen in die Augen, die angeblich meine Augenfarbe ins arische blau verändern sollten. Einmal nahmen sie mir Blut ab, nur um zu sehen, was dies für einen Effekt auf meinen Körper haben würde. Ich wurde krank, und bekam am ganzen Körper Geschwüre. Doch ich überlebte, auch wenn keiner damit gerechnet hatte. Andere Kinder hatten weniger Glück. Viele erblindeten durch die Experimente, oder starben aufgrund von Hunger oder Krankheiten.

Morgens, beim Morgenappell, kontrollierte die Blockälteste, wer von uns noch am Leben war. Die Kinder, die tot auf ihren Pritschen gefunden wurden, warfen die Soldaten auf Wagen. Nur die Stärksten konnten in diesem Lager überleben. Teilweise rissen die älteren Kinder den jüngeren das Brot aus der Hand, sie handelten nur nach ihren Instinkten. Alle menschlichen Gefühle verschwanden, uns war alles egal. Kaum einer dachte noch an seine Mutter.

Wir saßen den ganzen Tag auf unseren Pritschen. Ich glaube, man nennt es das Kaspar-Hauser-Syndrom, oder auch Waisenkinder-Syndrom. Wir saßen da und wiegten uns vor und zurück, den ganzen Tag lang. Zuneigung bekamen wir nicht, abgesehen von einigen Kindern, die von schwangeren Frauen im Lager profitierten. Sie gaben ihre Milch an andere Kinder weiter, wodurch diese kräftiger waren. Viele wurden durch sie gerettet.

Ich wurde von meiner Mutter gerettet. Sie arbeitete im Außenkommando, das die Weichsel regulierte. Deswegen lief sie regelmäßig an einer Straße nahe des Lagers entlang. Manchmal kamen Dorfbewohner zu dieser Straße, um dort Essen für die Häftlinge zu verstecken. Ab und zu fand meine Mutter etwas, doch anstatt es selber zu essen, kam sie in der Dämmerung an unsere Baracke und gab es mir. Ich habe das Essen sofort verschlungen, weil es mir ansonsten gestohlen worden wäre. In dieser Zeit der Verwahrlosung konnte ich mich kaum an das Gesicht meiner Mutter erinnern. Ich sah immer nur ihre Hände, die das Essen für mich hielten. Durch sie überlebte ich mehr als ein Jahr in Auschwitz-Birkenau.

Eines Tages kam ein Transport aus Warschau mit einer Gruppe Pfadfinderinnen an. Das war das erste Mal, dass wir wieder Zuwendung bekamen. Sie lehrten uns katholische Lieder und Gebete, und sie versorgten unsere Wunden. Doch die bessere Atmosphäre, die durch sie entstand, verschlechterte sich schnell wieder. Mit der nahenden Befreiung kam auch eine nervöse Stimmung in das Lager. Die Täter versuchten, ihre Spuren zu verwischen. Wir hörten häufig Explosionen. Später erfuhren wir, dass sie die Krematorien gesprengt haben. Jetzt ging alles sehr schnell. Meine Mutter brachte mir kein Essen mehr, da sie mit dem Abtragen der Gebäude beschäftigt war. Wir Kinder versanken in Apathie, und bekamen nichts mehr mit. Auch nicht, wie die anderen Häftlinge auf die Todesmärsche nach Deutschland und Österreich geschickt wurden. 70 Kilometer mussten sie zu Fuß gehen, mitten im Winter und ohne vernünftige Schuhe. Diejenigen, die langsamer wurden oder umfielen, wurden erschossen und zurückgelassen. Auch meine Mutter war unter diesen Häftlingen. Ich weiß noch, wie sie vor dem Abmarsch zur Baracke gerannt kam, mir meinen Namen, mein Alter und meine Herkunft sagte und mir einschärfte, es mir zu merken. Dann war sie fort.

Es wurde still im Lager. Uns war dies jedoch egal, wir waren von der Gefangenschaft zu erschöpft, um uns für die Vorgänge im und außerhalb des Lagers zu interessieren. Doch auf einmal erschienen die Soldaten der Roten Armee in der Baracke. Sie gaben uns Brot und Becher mit einem warmen Getränk; Später erfuhr ich, dass dies Kaffee mit Milch war. Mit ihnen kamen Bewohner der umliegenden Städte und Dörfer. Sie wollten wissen, was wirkich im Lager passiert war, da sie manchmal den Rauch aus den Krematorien haben aufsteigen sehen. Sie ahnten, dass Menschen getötet worden waren, doch nun sahen sie die schreckliche Realität unserer Leben. Überall lagen Leichen, Berge von Leichen, die die Nazis nicht mehr verbrennen konnten. Sie waren überrascht, als sie unsere Kinderbaracke fanden. Wir wahren ungefähr 160 Kinder, 40 von uns noch Kleinkinder. Die Leute hatten Mitleid, und nahmen uns mit in ihre Häuser. Ich weiß noch, wie schockiert ich war, als ich die Badewanne mit heißem Wasser und das frisch gemachte Bett sah. Ich dachte, ich wäre in einem weiteren Experiment von Dr. Mengele. Ich fragte mich, wo die Ratten, Hunde und Soldaten waren, und vor allem, wo Dr. Mengele war.

Bis heute bewundere ich das Ehepaar, das mich aufgenommen hat, für ihren Mut und ihre Fürsorge. Ich war voller Läuse, mein ganzer Körper war mit Eiterblasen und Geschwüren bedeckt. Monatelang verließ ich die Wohnung nicht, da ich nicht wusste, wie man ein normales Leben lebt. Ich war schwer krank, der Arzt diagnostizierte Tuberkulose. Er kam jeden Tag und untersuchte mich. Nach einigen Monaten hatte ich wieder die Kraft, im Innenhof zu spielen. Mit den anderen Kindern spielte ich das Leben im Lager nach, ich kannte nichts anderes. Ich gab die Kommandos und stellte Selektionen und Appelle nach. Andere Spiele kannte ich nicht mehr. Ich ertrug damals kaum Berührungen. Wenn jemand die Hand nach mir ausstreckte, fürchtete ich mich vor Schlägen. Drei Jahre später adoptierten mich meine Pflegeeltern. Ich bekam einen neuen Namen, eine neue Identität und die polnische Staatsbürgerschaft. Bis dahin war ich nur eine Nummer.

Als junge Frau traute ich mich nicht, jemandem mein Tattoo zu zeigen. Ich schämte mich für meine Vergangenheit. Doch inzwischen glaube ich, dass es mein Schicksal war, diesen Krieg zu überleben, um heute davon berichten zu können.Und deshalb sage ich euch nun: Die Zukunft dieser Welt liegt in euren Händen. Verhindert eine Wiederholung dieses Schreckens! Wir sind verpflichtet, auch in einer Welt, in der es Wohlstand, Frieden und Glück gibt, von den Geschehnissen in Auschwitz und allen anderen Konzentrationslagern zu berichten, auch für die Kinder und Erwachsenen, die es nicht überlebt haben. Engagiert euch! Stellt euch gegen Diskriminierung, Gewalt und verhindert kommende Kriege. Das Schicksal dieser Welt liegt in euren Händen.

17 Jahre nach dem Krieg traf ich meine Mutter wieder. Sie kam mit dem Todesmarsch bis nach Ravensbrück, wo sie befreit wurde. Ich war damals 22. Wir fanden uns über unsere Nummern. In einem großen Medienspektakel trafen wir uns wieder. Ich habe noch heute den Zeitungsartikel.

Ich entschied mich, in Polen zu bleiben. So ein glückliches Ende ist jedoch nicht allen Überlebenden gewährt worden. Viele fanden ihre Verwandten nie wieder, oder mussten von deren Tod erfahren.

Transkription von Lena, Jg. Q2, 2018

Lesen Sie auch über den Besuch von Sara Atzmon, einer Zeitzeugin!